Das Paradies auf Erden
Dokumentarfilm 2001–2003
»Einer der schönsten Filme der ganzen letzten Jahre.«
— Eberhard Hauff, Filmfest München, 2003
Das Paradies auf Erden
Von Berlin-Hauptbahnhof sechs Stunden Bahn. Dann ab Warschau drei Stunden mit dem Auto. Immer Richtung Osten, immer den Wäldern nach, durch ein Land, wo die Dörfer leer und die Friedhöfe voll sind. Immer weiter, bis es nicht mehr weitergeht, bis die Sandpiste irgendwo im Birkenwald von Grzybowszczyzna versickert. Da liegt, was einmal die Hauptstadt der Welt werden sollte: Wierszalin, das »Neue Jerusalem« des Bauernpropheten Eliasz und seiner Getreuen. Der Ort ist auf keiner Landkarte verzeichnet und ich fand ihn zufällig während einer Reportage über Ostpolen.
Ich traf auf eine Gruppe alter Menschen, für die die Bibel wie ein Drehbuch fürs Leben war. In den dreißiger Jahren hatte der Bauernprophet ihnen biblische Rollen zugeteilt und sie aufgefordert, auf einer Waldlichtung die zukünftige Welthauptstadt, das Paradies auf Erden zu errichten.
Wenige Jahre später verschwand Eliasz spurlos. Für die Dorfbewohner blieb er das Prinzip Hoffnung, mit dem sie Revolutionen, Krieg und Vertreibung mehr als 70 Jahre lang ertrugen. Meine abenteuerliche Suche nach Eliasz brachte mich bis in die stalinistischen Lager Sibiriens.
Faszinierende Bilder entführten mich in eine fremde, unbekannte Welt, in der sich biblischer Mythos und Realität mischten. Plötzlich erschien mir das Schicksal dieser Menschen fernab unseres modernen Lebens wie eine Parabel auf die Suche nach dem Sinn des Lebens.
»Eliasz war wie ein Magnet. Eine Zeit lang bildete ich mir ein, wenn ich das Geheimnis seines Lebens entdecke, löse ich das Rätsel des menschlichen Daseins schlechthin.«
— Hans Madej im Gespräch mit dem Produzenten Jörg Bundschuh, 2003
»Ich bewundere weitaus mehr die Menschen, die den Wesensgehalt der Bibel unabhängig von einer Konfession leben, als diejenigen, die glauben, im Besitz der einzig wahrhaften Konfession zu sein und nicht danach leben.«
— Hans Madej im Gespräch mit dem Produzenten Jörg Bundschuh, 2003
»Die Bauern erinnerten sich, dass dem kleinen Eliasz Nacht für Nacht die Jungfrau Maria erschienen wäre: »Baue eine Kirche, Eliasz!« hätte sie gesagt. Als sein Bart ihm bis zur Brust reichte, lieh sich der Bauer Eliasz Klimowicz 950 Silberrubel und begann, das Fundament seiner Kirche zu bauen…!«
— Alexander Smoltczyk aus »Warten auf Eliasz«, 1995
»Pavel hat tausend Ideen in seinem langen Leben gehabt. Seine Größte ist jedoch geheim, aufgezeichnet in einer Kladde, die er sich weigert zu öffnen: »Eine elektrische Turbine... Sie braucht nur zwei Meter Wasserhöhe und wird alle Atomanlagen überflüssig machen. Denn Wasser fließt immer«, sagt er listig und erzählt von elektrischen Trambahnen, die dank seiner Turbine bald überall fahren könnten, selbst hier im Wald von Bialowiezza.«
— Alexander Smoltczyk aus »Warten auf Eliasz«, 1995
»Die Zwischenzeit vertreibt sich Pavel Woloszyn mit Erfindungen. Im Wald hat er den Panzerschrott des letzten Krieges gesammelt und auf seine Lichtung geschleppt. Aus Resten eines Wehrmachtstanks wurde der Heulastwagen, mit dem er zum Markt nach Krynki fuhr, während die anderen Bauern noch hinter ihren Kaltblütern herliefen.«
— Alexander Smoltczyk aus »Warten auf Eliasz«, 1995
»In Russland hatte das neue Jahrhundert als Zeitalter der Wanderprediger, Welterlöser und Wunderheiler begonnen. Die Propheten schossen aus der Erde wie Birkenpilze nach einem Oktoberregen. Eliasz spürte seine Berufung erstarken. Warum die besten Jahre in einem Kloster verbringen? Es gab einen direkteren Weg zu Gott und zu den Menschen: Die Zukunft sehen, eine Kirche bauen. Und Wunder tun. Denn die Menschen brauchen Wunder. Vor allem in den Wäldern um Bialystok.«
— Alexander Smoltczyk aus »Warten auf Eliasz«, 1995
»Jedes Jahr kommen die Menschen hier aus ihren Höfen und schleppen orthodoxe Kreuze über Sandwege nach Grabarka, dem Mekka der Wunderheiler und Welterlöser. Man sieht sie, wie sie drei Tage lang fastend über Katzenkopfpflaster pilgern, singen und sich abends ins Heu legen. Wie sie dann zu Hunderten, Tausenden den Hügel zur Kapelle auf Knien rutschen, um dort oben 36 Stunden lang ohne Pause zu beten und ihr Kreuz pflanzen.«
— Alexander Smoltczyk aus »Warten auf Eliasz«, 1995
»Der Film fängt ja mit einer Frage an, »was das Leben wohl ist« und der Film suggeriert vielleicht, dass ich eine Antwort darauf gefunden habe. Die habe ich bis heute nicht gefunden, es sei denn, dass ich diesen Film auch gelebt habe, jahrelang, mit diesen Menschen, mit ihren Träumen und Sehnsüchten, die gar nicht so verschieden von meinen eigenen sind.«
— Hans Madej im Gespräch mit dem Produzenten Jörg Bundschuh, 2003
»Hans Madej war bei den Kindern von Tschernobyl, er hatte den Bürgerkrieg in Jugoslawien erlebt, schließlich den Tschetschenien–Krieg und als er dann das Leben einiger alter Männer in einem polnischen Wald fotografierte, die Hunger, Angst, Vertreibung und Tod erlebt hatten, da passierte es ihm, dass er »keine Bilder mehr sah«. Madejs liebevolles Porträt der alten Männer im polnischen Wald blieb seine bislang letzte GEO–Reportage.«
— Peter-Matthias Gaede, Chefredakteur GEO, 2006